Jazz Town Frankfurt – Lebt die Szene noch?

Albert Mangelsdort

Albert Mangelsdort

Emil Mangelsdorf und das Mangelsdorf Quartett

Emil Mangelsdorf und das Emil- Mangelsdorf Quartett 2009

 

Auf der Suche nach dem heutigen Image der ehemaligen Jazzstadt Nummer 1 in Deutschland stieß ich auf folgenden Artikel der FAZ aus dem Jahr 2003. Leider muß man zugeben, daß zum Beispiel Köln unserer Metropole Frankfurt den Rang abgelaufen hat. Aber, der untenstehende Artikel von Jürgen Schwab aus dem Jahr 2003, erschienen in der FAZ beschreibt Frankfurt wie es sich einmal dargestellt hat. Zusammen mit den Mangelsdorf Brüdern. Wer an Jazz interessiert ist sollte den Beitrag lesen. Der Jazzkeller in der Kleinen Bockenheimer Gasse ist auch heute noch einen Besuch wert und speziell an Freitagabenden kann man dort auch tanzen zur beliebten Musik.

 

Jazz-Stadt Frankfurt Die Mangelsdorff-Brüder und der synkopierte Viervierteltakt

“Als ich zum ersten Mal amerikanischen Jazz gehört habe, es war Louis Armstrong, da hab ich gewußt: das will ich auch machen. Ich hatte einen Puls von 160, ich war so aufgeregt”, erinnert sich Emil Mangelsdorff an das Ereignis, das sein Leben verändern sollte.
27.06.2003

“Als ich zum ersten Mal amerikanischen Jazz gehört habe, es war Louis Armstrong, da hab ich gewußt: das will ich auch machen. Ich hatte einen Puls von 160, ich war so aufgeregt”, erinnert sich Emil Mangelsdorff an das Ereignis, das sein Leben verändern sollte. Man kann sich vorstellen, wie er da als Halbwüchsiger vor dem Volksempfänger kauerte, mit gespannter Aufmerksamkeit auf jeden Ton lauschend. Denn alles, was er beim Radiohören aufschnappen konnte, versuchte er später auf seinem Akkordeon nachzuspielen. Weil sein Vater der Nazi-Propaganda mißtraute und sich deshalb von verbotenen Feindsendern, namentlich Radio Luxemburg, informieren ließ, kam Emil regelmäßig in den Genuß von Jazz. Das war unter der Diktatur der Nazis, die schon 1935 ein “Nigger-Jazz-Verbot” für den deutschen Rundfunk erlassen hatten, eher die Ausnahme als die Regel, aber es gab andere mit ähnlichen Hörerfahrungen und Vorlieben. Bei einem Faschingsumzug, wo Emil als Akkordeonspieler mitmachte, lernte er den Klarinettisten Karl Petri kennen. Es war sein Einstieg in eine verschworene Clique jugendlicher Musiker, die sich regelmäßig trafen, um gemeinsam Jazzplatten zu hören oder selbst heißen Swing zu spielen, von Anfang 1940 bis Ende 1942 in der Rokoko-Diele des Hotels Kyffhäuser in der Kaiserstraße.

Sein Bruder Albert war anfangs noch zu jung, um solche Tanzlokale besuchen zu können. Er hörte sich zu Hause die Platten an, die Emil mitgebracht hatte, sang die Aufnahmen mit und improvisierte zu ihnen – mit der Stimme, denn ein Instrument besaß er noch nicht. Später kam auch Albert gelegentlich mit in einschlägige Cafes und Lokale, ausstaffiert mit einem Anzug von Emil, damit er älter wirkte. Für den ging das Dasein als Jazzmusiker allerdings erst einmal zu Ende, denn Ende März wurde Emil von der Gestapo verhaftet. Schon lange war er überwacht und immer wieder einbestellt worden, für Verhöre oder um einen Haarschnitt verordnet zu bekommen. Jetzt konfrontierte die Gestapo ihn mit einem politischen Delikt: Er hatte einem Freund geraten, sich vor dem Wehrertüchtigungslager zu drücken. Emil wanderte für zwanzig Tage ins Gefängnis, wurde anschließend in die Wehrmacht einberufen und landete an der russischen Front. Albert wurde von den Eltern für ein Jahr nach Pforzheim geschickt, wo er von seinem Onkel, einem Theatermusiker, im Geigenspiel unterrichtet wurde. Abends, wenn Onkel und Tante im Theater waren, hörte er Jazzsendungen im Radio, tagsüber übte er klassische Etüden. Der Onkel durfte nicht wissen, daß sein Neffe Jazzmusiker werden wollte.

Das Kriegsende erlebte Albert zu Hause: “So etwa im März waren die Amis kurz vor Frankfurt, und man hörte schon die Kanonen.” Mit vielen anderen Jugendlichen mußte er sich am Südbahnhof einfinden, von wo sie zum Volkssturm abtransportiert werden sollten. Doch er und vier Freunde wollten da nicht mitmachen. “Wir haben uns dann einzeln abgesetzt und sind in der Nacht noch in den Taunus gegangen. Einmal sind wir von SA-Leuten in Uniform angehalten worden, die wissen wollten, wo wir hingingen. Da haben wir gesagt: ,Wir gehen zum Bahnhof, wir müssen zum Volkssturm.’ Nur haben die nach einiger Zeit gemerkt, daß wir in eine andere Richtung gingen. Sie haben hinter uns hergerufen und sogar nach uns geschossen. Aber wir versteckten uns in einem kalten Brennofen einer Ziegelei, wo sie uns nicht fanden.”

Nach mehreren Tagen im Taunus schlichen die fünf wieder nach Hause, wo sie sich versteckt hielten, bis der Krieg vorüber war. Albert ließ sich als Arbeiter bei der amerikanischen Armee einschreiben: als Küchenhilfe, Gärtner und Schuhputzer, bis er wegen seiner Englisch-Kenntnisse einen Bürojob bekam. Viel Geld ließ sich nicht verdienen, aber das nützte vor der Währungsreform ohnehin nicht viel. Wer für die Amerikaner arbeitete, wurde immerhin gut verpflegt. Im Juni 1947 vermittelte ihm Carlo Bohländer einen Job als Gitarrist bei einer in Diensten der Amerikaner stehenden Big Band in Bad Soden. Zu der Zeit bekam er auch seine erste Posaune und war nach einem Jahr Unterricht schon gut genug, um bei Jamsessions einsteigen zu können. In Frankfurt war damals einiges los: “1948 hatte ich eine amerikanische Freundin, die bei der Armee im IG-Hochhaus tätig war. Sie hat mich ausstaffiert, damit ich ordentlich ausgesehen habe. Mit ihr bin ich an meinen freien Tagen ins Kasino gegangen, um Edelhagen zu hören.” Der spielte mit seiner Big Band im “Les Palmiers Room”, dem größten amerikanischen Militärcasino Europas im Poelzig-Bau.

Während Albert also alle Möglichkeiten hatte, Musik zu hören und zu spielen, litt Emil, der in russische Kriegsgefangenschaft geraten war, unter Jazzentzug. Er arbeitete in einer Werft, als von einem Schiff plötzlich Lionel Hamptons “Twelfth Street Rag” herüberwehte: “Ich war gerade im Laboratorium damit beschäftigt, Schwefelsäure zu destillieren, hatte Asbesthandschuhe an und Glaskolben mit 370 Grad heißer Schwefelsäure in der Hand. Die hab ich in den Sand gesetzt – es war im Freien – und bin zum Schiff gerannt. Aber als ich ankam, war die Musik schon wieder zu Ende. Entweder hatte der Matrose von seinem Vorgesetzten gesagt bekommen, er soll sie ausmachen, oder es hat ihm selbst nicht gefallen.” Soweit Emils einziges Jazzerlebnis aus der Kriegsgefangenschaft. 1949 kam er zurück nach Frankfurt, abgemagert auf 53 Kilo Körpergewicht. Der Swing, den er Anfang der vierziger Jahre noch gespielt hatte, war aus der Mode gekommen und mit ihm die Klarinette und das Akkordeon. Emil griff zum Altsaxophon und setzte sich, theoretisch unterwiesen von Carlo Bohländer, mit dem Bebop und Cool Jazz auseinander.

Von 1950 an waren die beiden Brüder dann musikalisch erstmals vereint: in der Band des Pianisten Joe Klimm. “Klimm war ein hervorragender Arrangeur, der die Stücke sehr modern dreistimmig gesetzt hat”, erinnert sich Emil an den homogenen Klang der Gruppe. Kein Wunder, bei der Besetzung: Neben den Gebrüdern Mangelsdorff komplettierte Joki Freund den Bläsersatz. Für Albert war das damals die modernste Band im Lande: “Cool Jazz war die eigentlich Ambition dieser Gruppe, aber wir haben sehr viele Bebop-Stücke gespielt, zumal wir vorwiegend in schwarzen Clubs aufgetreten sind, wo man uns hat spielen lassen, und da war natürlich Bebop gefordert, wobei der Unterschied zwischen Bebop und Cool auch kein so großer ist.”

Der Unterschied zwischen Jazz und Tanzmusik ist dafür um so größer: ungefähr so wie der zwischen einem Leben in Armut und einer halbwegs geregelten Existenz. So wichtig der 1952 von Carlo Bohländer eröffnete Jazzkeller war, verdienen konnte man da nichts: “Wir sind praktisch jeden Abend da hingegangen, um zu spielen, wenn auch nur fürs Bier. Aber dadurch konnte man sich entwickeln, was wahrscheinlich ohne den Keller nie möglich gewesen wäre”, resümiert Albert. Überleben mußten die Musiker aber trotzdem, und deshalb bedienten sie in den amerikanischen Offizierskasinos auch den Geschmack der weißen amerikanischen Soldaten. “Wenn die tanzen wollten, dann mußten wir auch mal Sweet Georgia Brown in Swing- oder Dixielandmanier spielen”, berichtet Emil und kann sich erinnern, was sie machten, wenn die Offiziere zum Dinner einen Wiener Walzer wünschten: “Joe Klimm mußte meistens alleine auf dem Klavier spielen, während wir Skat spielten. Wir saßen auf einer Empore, wo wir nicht gesehen werden konnten. Und Joe Klimm hat immer gebettelt: ,Spielt doch mal mit!'”

Ein Wesenszug wird da deutlich, der den inneren Kreis der Frankfurter Jazzmusiker von Anfang an ausgezeichnet hat. Emil ist sich sicher, “daß wir Frankfurter in unserer Beziehung zu dieser Musik doch ernsthafter waren. Vielleicht bin ich ungerecht, aber bei Berlinern aus der Zeit hatte ich immer den Eindruck, sie nehmen die Musik nicht so ernst. Für die war es schick und gehörte zum leichten Leben, das man sich vorstellte, während wir nächtelang dagesessen und diese Musik gehört haben.”

Der Aufstieg Frankfurts zur “Jazzhauptstadt der Republik” findet letztlich in dieser Haltung seine Ursache. Nur weil sie sich mit solcher Hingabe ihrer Musik widmeten, konnten die Mangelsdorffs trotz bescheidener Anfänge und gegen alle politischen oder ökonomischen Zwänge später zu Wahrzeichen für Frankfurt werden. Längst gehört ihr Name untrennbar zur Finanz-Metropole am Main und wird mit der Stadt assoziiert. Wie Paulskirche, Ebbelwei und Deutsche Börse.

JÜRGEN SCHWAB

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